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Interview mit Marie-Paule Ricchi

Marie Paule

Marie-Paule Ricchi hat sich in der Tri-Energetik (TE) weitergebildet und ist mittlerweile diplomierte Prüfungsexpertin der EpSanté Bern und ist vielfach auch als Dozentin der Pflegeschule TT Biel-Seeland tätig. Sie backt und dekoriert Kuchen und betreibt damit ihre zweite selbständige Erwerbstätigkeit. 

Zudem ist sie Mutter von zwei Kindern und unterstützt mit Leib und Seele die Ausbildung ihrer Tochter. Marie-Paule beherrscht drei Sprachen fliessend, gab früher professionellen Tanzunterricht und heute macht sie Tanzheilung und Stressabbaumassagen und arbeitet ganz neben- bei bemerkt – fast ging es vergessen – selbständig erwerbend als diplomierte Pflegefachfrau AKP. Der Liebe wegen ist Marie-Paule Anfang der 90er-Jahre in die Schweiz gekommen. Dass Marie-Paule sich haargenau an den Zeitpunkt ihrer Einreise erinnern kann – es war am 16. Dezember 1992 um 17 Uhr am Bahnhof SBB – lässt erahnen, wie einschneidend die Migration für ihr weiteres Leben war. So entschied sie bestimmt, die Schweiz wieder zu verlassen, sollte sie die Sprache im neuen Land nicht beherrschen und begann noch im Dezember mit intensivem Deutschunterricht. Bis sie es konnte. 2007 strandete sie bei Crescenda und hat gleich zwei Firmen gegründet: «Bouffée d’Art» und «Pflegekunst».

Marie-Paule, was hat dich dazu bewogen, dich selbständig zu machen?
Als ich in der Akutgeriatrie gearbeitet habe, erlebte ich einen Schock-Moment. Immer habe ich den Willen und die Würde des Patienten in den Vordergrund gestellt. Nun war ich auf einer Abteilung gelandet, wo die Leute nur zum Sterben waren und wo deren Bedürfnisse deshalb unwichtig schienen. Das war sehr einschneidend für mich. Mehrfach bekam ich zudem dann in unterschiedlichsten Institutionen noch zu hören, dass ich für die Pflege selbst mit meinen vielen Aus- und Weiterbildungen überqualifiziert sei und ich auf die Leitungsebene solle. Aber das hätte mich nicht glücklich gemacht. Ich wollte den Patienten im Mittelpunkt meiner Arbeit wissen und nicht einen simplen Computer. Ich wollte nie wieder in einer Institution arbeiten und kündigte, unglücklich wie ich war, meinen damaligen Job. Die RAV-Beraterin ermutigte mich, einen Kurs zur Selbständigkeit zu besuchen. Zeitgleich fand ich im RAV-Dossier einen Flyer zu Crescenda und meldete mich noch am selben Tag bei Crescenda.

«Ich finde Crescenda füllt eine Nische, die es sonst nirgends gibt: Crescenda gibt den Frauen eine Glaubwürdigkeit.»

Wo stehst du heute?
Es hat sich vieles getan. Vier Jahre habe ich alleine selbständig gearbeitet. Das bedeutete, dass ich jeden einzelnen Tag arbeitete, um mir einen Kundenkreis aufzubauen. Als alleinerziehende Mama war es aber nicht denkbar, die Schulferien der Kinder auch durchzuarbeiten. Eine passende Vertretung zu finden, war aber alles andere als einfach. Ein Schlüsselmoment für mich war eine Blutvergiftung. Ich habe realisiert, dass ich enorm viel Stress hatte und was Stress mit dem Körper machen kann. Es beschäftigte mich, dass Stress das Immunsystem flachlegen kann wie eine Autoimmunkrankheit. So kam ich zur Tri-Energetik. Der psychologische Ansatz des Tri-Energetik- Trainings lehrt die drei Komponenten Körper, Geist und Seele zusammen zu sehen. Meine Stärke ist es, alle drei Kompetenzen fliessend zu vereinen. Mein professionelles Ziel dabei ist immer, dass die Menschen ihr Ziel erreichen.

Was ist deines Erachtens der grösste Nutzen von Crescenda?
Der RAV-Kurs zur Selbständigkeit ist ganz klar männlich orientiert. Es spielt da keine Rolle, ob du eine Frau bist und ob du eine Familie hast. Selbständigkeit wird da nicht mit einem Traum verbunden, sondern rein ökonomisch bewertet und als Ziel im Businessplan wird ausschliesslich schnelles Wachstum proklamiert. Als bescheidene Frau, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen wollte und trotzdem die Kinder nach der Trennung vom Ehemann nicht vernachlässigen wollte, fühlte ich mich nicht ernst genommen. Und dann ist man zusätzlich noch Ausländerin! Wenn man alles zusammen ist, dann ist man arm dran (lacht herzhaft). Bei Crescenda hingegen sind die beruflichen Träume wichtig. Ich fand das mutig und klug zugleich, dass jemand in der heutigen Gesellschaft nach deinen Träumen fragt!? Ich finde Crescenda füllt eine Nische, die es sonst nirgends gibt: Crescenda gibt den Frauen eine Glaubwürdigkeit. Ich würde nicht sagen, dass ihnen eine Chance gegeben wird. Denn Chancen werden einem nicht einfach gegeben, sie sind immer da und man muss sie selbst anpacken. Aber Crescenda gibt den Migrantinnen, die weniger privilegiert und weniger willkommen sind als Expats oder Migrantinnen aus kulturnahen Kreisen, was sie brauchen. Und das nicht nur in Gedanken, sondern verlebendigt. Crescenda bietet zudem einen realen Ort und für mich bedeutet dies Vernetzung.

(Das Interview erschien im Jahresbericht 2016)